"Das Sagen haben wir!" Museum erleben für Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen. Ein Erfahrungsbericht

Das Projekt »Kunst für die Seele – Museum erleben« eröffnet Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen einen neuen Zugang zu den eigenen Wahrnehmungen und zur Welt. Frau U. B. verfasste als Teilnehmerin solcher Führungen den folgenden Erfahrungsbericht. (de)mentia+art dankt für die Erlaubnis, ihn zu veröffentlichen.



Eine Gruppe des Köln-Rings trifft sich regelmäßig in einem Kölner Museum. Dort treffen wir auf Herrn Schmauck-Langer von (de)mentia+art. Der übernimmt die Führung aber nicht das Sagen.

Das Sagen haben wir Klienten. Herr Schmauck-Langer sucht immer vier bis fünf Bilder zu einem Thema oder eines Künstlers aus. Diese Bilder nehmen wir Klienten dann auseinander. Detailbesessen schauen wir sie uns an. Jeder erkennt etwas anderes und oft sehen wir in ein und demselben etwas ganz Unterschiedliches. Ich sehe zum Beispiel ein Nachthemd, die anderen erkennen darin ein Kleid mit Unterrock - diesmal hatten sie eindeutig Recht. Dies ist bei einem Niederländischen Meister geschehen und genau das will Herr Schmauck-Langer provozieren. Er stellt wenige Fragen zum Bild, gibt ein paar Hinweise und wir machen den Rest. Das ist immer interessant. Durch das genaue Hinsehen erklären wir uns die Bilder selber.

Ein andermal haben wir von Gerhard Richter 5 Türen angeschaut. Wir erfuhren nur, dass Richter kurz vorher aus der DDR in die Bundesrepublik eingereist war. Wir philosophierten, wo die Türen hin führen und ob sie auf- oder zugehen. Wir unterhielten uns ob unsere eigenen Türen auf oder zu seien. Das führte zu sehr persönlichen Einsichten. Diese Betrachtung liegt schon lange zurück und doch ist sie noch da. So intensiv ist es jedes Mal, es wird nie langweilig, gerade weil wir es sind, die die Bilder erklären. Doch ohne die sanfte Führung von Herrn Schmauck-Langer würden wir uns wohl nicht so lange mit einem Bild beschäftigen.

Wir machen den Rest!

Die Museumsbesuche sind mir sehr wichtig. Ich liebe die Kunst, aber ich schaffe es selten alleine ins Museum. Doch mit unserer Köln-Ring-Begleitung, die mit auf Entdeckungstour geht, geht es gut. Da sind wir unter uns, obwohl natürlich andere Besucher auch dort sind. Die verschiedenen Sichtweisen der Teilnehmer sind immer eine Bereicherung für mich, auch wenn ich sie nicht immer teile. Es ist schön sich so lange mit einem Kunstwerk zu beschäftigen, das gelingt mir alleine nicht mehr.

Besonders gerne erinnere ich mich an einen Besuch im Kolumba Museum, das ist ein Museum das ich nicht auf meiner Liste hatte. Ich konnte dort aber entdecken, dass auch dieses Museum für mich eine Bereicherung war. Wir schauten uns ein Gemälde mit vielen Gesichtern an, die wir auf unsere Weise deuteten. Auf diesem Gemälde waren auch Füße zu sehen und wir erkannten, dass sie sich verkrampft hatten. Auch ich krampfe mit den Füßen. Herr Schmauck-Langer meinte, das macht man automatisch. Das war mir nicht bekannt. Also bin ich nicht alleine damit. Das ist beruhigend zu wissen.

Viel von anderen lernen

Besonders gefällt mir, das bei den Betrachtungen jeder zu Wort kommt auch die Schüchternen, wie ich es bin. So kann ich viel von anderen lernen.

Nach eineinhalb Stunden sind wir am Ende. Ich bin dann aber noch lange mit dem Erlebten beschäftigt und manchmal habe ich dadurch neue Ideen für eigene Bilder. Und wenn ich es dann doch mal alleine ins Museum schaffe, versuche ich immer mir die Werke genauso anzuschauen wie wir es in der Gruppe gelernt haben. Meistens wünschte ich mir dann die Gruppe wäre auch da!

© U.B.




Kulturelle Teilhabe und Inklusion mit Leben füllen

Das Projekt »Kunst für die Seele – Museum erleben« eröffnet Menschen in psychischen Krisen einen neuen Zugang zu den eigenen Wahrnehmungen und zur Welt.
Angestoßen durch die Eckhard Busch Stiftung und (de)mentia+art, sind die Johann-Christoph-Winters-Schule in Köln (eine 'Schule für Kranke', die mit der Uniklinik kooperiert) und die Köln-Ring gGmbh (Hilfen für psychisch erkrankte Menschen) seit Herbst 2015 Kooperationspartner dieses Kunst-Projektes. Zur Zeit kommen weitere Gruppen hinzu.

Mittlerweile wurden mit Gruppen von Jugendlichen und Erwachsenen über 25 Museumsführungen durchgeführt, die sich sehr von der üblichen Art der Kunstbetrachtung abheben. Hier erfahren die Teilnehmenden weniger trockenes kunsthistorisches Wissen, sondern beginnen, wie oben beschrieben, aktiv in ein Bild einzutauchen, neugierig zu werden und über die persönliche Ansprache eine Beziehung zu sich, den eigenen Lebenserfahrungen, dem Kunstwerk, und zur Gruppe herzustellen. Hier werden wichtige Kriterien zur kulturellen Teilhabe und Inklusion mit Leben erfüllt. (Tina Emsermann)



Die Eckhard Busch Stiftung fördert das Format seit Jahren finanziell. Weitere Kooperationspartner sind der Museumsdienst Köln und die beteiligten Museen: Museum Ludwig l Wallraf-Richartz-Museum l Kolumba - Kunstmuseum

Tina Emsermann, Dipl. Sozialpädagogin, stellv. Leitung Tagesstruktur der Köln-Ring gGmbH – Hilfen für psychisch erkrankte Menschen in Köln
Ellen Westphal ist Lehrerin für Sonderpädagogik an der Johann-Christoph-Winters-Schule, der Städtischen 'Schule für Kranke' in Köln.
Jochen Schmauck-Langer: siehe (de)mentia+art


  • Zu den vielfältigen und ermutigenden Erfahrungen dieses Projektes wird es vom 25. - 27. Juni 2019 eine erste Fortbildung geben für Fachkräfte aus psychosozialer Begleitung und Schule sowie Museumsmitarbeiter*innen. Sie findet in Köln, im Museum Ludwig statt. Mehr Infos: H i e r


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