Newsletter 10_2017

Pretty Woman und ich

Zu den berühmtesten Werken der Weltliteratur zählt die tragische Liebesgeschichte von Romeo und Julia, wie Shakespeare sie in seinem Drama erzählt. Zu allen Zeiten wurde danach wieder auf den Stoff zugegriffen, in Drama und Erzählung, in Film, Musik und nicht zuletzt im Tanz.


Ich war kaum Zwanzig, als ich damit in Berührung kam. Der Anlass war ein Aufenthalt in Paris, für einige Wochen in den Semesterferien. Durch Zufall ergatterte ich eine Stehkarte für die Pariser Oper, noch dazu für die Aufführung eines abendfüllenden klassischen Balletts. Warum ich hinging? Ich weiß es nicht mehr. Aus dem Kleinbürgertum stammend, mit einer verschachtelten Bildungsbiografie war ich nie in der Oper gewesen, nie im klassischen Ballett...
Jetzt wurde in einem der prachtvollsten Opernhäuser der Welt eines der berühmtesten Ballettstücke gegeben: Romeo und Julia, Pas de Deux en masse, mit der Musik von Sergej Prokofjew. Ganz hinten, auf den billigsten Stehplätzen, hatte man immerhin einen grandiosen Überblick über die Köpfe von 2000 anderen Besuchern auf das Geschehen dort unten auf der riesigen Bühne. Staunenswerte neue Welten, die sich da eröffneten.
Ich vermute mal, dass viele von Ihnen 'Pretty Woman' kennen. Dann können Sie sich vor Augen führen, wie die Landpomeranze Julia Roberts als Vivian auf ihr erstes Opernerlebnis reagierte - ohne ein einziges Wort, nur mit dem, was sich auf ihrem Gesicht abzeichnet, und mit ein wenig Körpersprache. In den Opernszenen des Films geht es um die Darstellung des tragischen, zutiefst aufrührenden Schicksals der Kameliendame in Verdis 'La Traviata' ... Die Großaufnahmen zeigen das Gesicht von Julia Roberts, zeigen, wie sie auf Musik und darstellende Kunst und Bilderwelten reagiert: irritiert, verstehend, mitfühlend, emphatisch - haben Sie jetzt eine gewisse Vorstellung, wie dieser Ballettabend in der Pariser Oper auf mich wirkte?
Jedenfalls war es für mich der Auftakt zu vielen Besuchen von klassischem Ballett, Modern Dance und schließlich des Tanztheaters von Pina Bausch... Tanz in allen Variationen.
Warum ich Ihnen das erzähle?
Anlass dieser etwas sentimentalen Erinnerung ist das nächste Happy Hour-Konzert. Dem Kennenlern-Format entsprechend, ist es die konzertante Aufführung einiger besonders schöner Suiten von Prokofjews Romeo und Julia, dargeboten vom WDR Sinfonieorchester in der Kölner Philharmonie. 60 Minuten, schon um 19 Uhr, für kleines Geld, mit einer Einladung auf ein Kölsch (oder Wasser) anschließend im Foyer. Für Menschen aus Köln und drumherum, am 18. Januar des neuen Jahres.
Auf der Ankündigung des WDR ist zudem zu lesen, dass Menschen mit Demenz bei den Happy Hour-Konzerten besonders willkommen sind... Das ist nicht allein Ausdruck einer langjährigen, vertrauensvollen Zusammenarbeit von dementia+art mit diesem bedeutenden Sinfonieorchester (mit dem wir im nächsten Jahr das 20. Kammerkonzert für Menschen mit Demenz machen werden). Es ist auch Zeichen eines wachsenden Bewusstseins dafür, dass die großen Kulturinstitutionen sich für wirkliche Teilhabe allgemein noch viel nachhaltiger öffnen und verändern müssen.

Ich wünsche Ihnen für die Weihnachtstage und den Jahreswechsel große, gute Emotionen, wo immer sie auftauchen - und vor allem den Mut, sie zuzulassen.

Herzlich aus Köln

Jochen Schmauck-Langer, dementia+art

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