„Wir kommen wieder!“ - Menschen mit Demenz im Kunsthistorischen Museum Wien

Das angesehene Kunsthistorische Museum in Wien war dabei, als ProSenectute und dementia+art die erste 3-tägige Fortbildung zu Kunst und Demenz im Museumsraum in Österreich durchführte. Das Museum auch beeindruckender Praxisort. Die Kunsthistorikerin Dr. Rotraut Krall initiierte danach die Gestaltung von Führungsangeboten für Menschen mit Demenz in diesem vielbesuchten Traditionshaus. Über ihre Vorgehensweise und die Erfahrungen im Museumsraum verfasste sie diesen anschaulichen Bericht.


[C für alle Fotos: KHM-Museumsverband RK]

"Wir kommen wieder!" - Treffender könnte ein Museumsbesucher wohl kaum zum Ausdruck bringen, dass er die Zeit, die er vor den jahrhundertealten Kunstwerken im Kunsthistorischen Museum verbrachte, positiv empfunden hatte. Besonders berührend ist diese Reaktion aber, da sie von jemandem geäußert wurde, der still in sich gekehrt, fast geistesabwesend an einer Führung für Menschen mit Demenz teilgenommen hatte.

Seit März 2016 hat das Kunsthistorische Museum sein Vermittlungsangebot um ein derartiges Programm erweitert. Von Beginn an stieß es auf großes Interesse und ebensolche Nachfrage. Dazu bedarf es sorgfältiger Vorbereitungen. Nach einer ersten allgemeinen Einschulung zum Thema Menschen mit Demenz durch Pro Senectute in Zusammenarbeit mit dementia+art ermöglichte das Erasmus+ Mobilitätsprogramm
neun KollegInnen des Teams der KunstvermittlerInnen eine fünftägige Hospitation zum Thema barrierefreie Kunstvermittlung in drei ausländischen Museen. Die dort gemachten praktischen Erfahrungen waren eine besonders wertvolle Ergänzung zur theoretischen Grundlage.

Äußere Bedingungen

Zurück in Wien stellte sich nach den ersten Kontaktaufnahmen mit den verschiedenen Interessensvertretungen rasch heraus, dass der Bedarf groß war. Für ein gutes Gelingen derartiger Kunstbetrachtungen ist im Vorfeld des Besuches eine intensive Zusammenarbeit mit den BetreuerInnen dieser Besuchsgruppe wichtig. Zu klären ist die Anzahl der TeilnehmerInnen, wobei sich herausstellte, dass Kleingruppen von acht bis maximal zehn Personen pro Gruppe optimal sind. Außerdem muss für RollstuhlfahrerInnen die barrierefreie Zugänglichkeit geklärt werden. Ebenso sollte auf ausreichend Sitzgelegenheiten in den Galerieräumen geachtet werden.

Die Dauer der Besuche ist ebenso zu besprechen wie die Auswahl der Kunstwerke. Auch hier zeigte die Erfahrung, dass eine Konzentration auf wenige Objekte ein viel intensiveres Erleben ermöglicht. Empfehlenswert sind zwei bis drei Kunstobjekte, deren Betrachtung zusammen etwa eine Stunde einnimmt. Die Dauer hängt aber ganz von der Lebhaftigkeit der TeilnehmerInnen ab. Empfehlenswert ist auch ein Motto zu suchen, unter das der Besuch gestellt werden kann, wobei geläufige Themen wie Familie, Alltag, Feste u. a. besonders geeignet sind.

Das Kunsthistorische Museum bietet für die Besuche unterschiedliche Varianten an: eine rein gesprächsorientierte Führung vor dem Original (Dauer ca. eine bis eineinhalb Stunden) und eine Kombination aus Führung und anschließender praktischer Arbeit im Kunstatelier (Dauer ca. zweieinhalb bis drei Stunden). Beide Angebote werden gleich gerne gebucht, wobei die Variante mit der praktischen Arbeit einen intensiveren Kontakt sowohl zwischen den betroffenen Menschen und dem Objekt, als auch zwischen den BesucherInnen und den KunstvermittlerInnen zulässt. Das fördert das Zutrauen, schafft eine Atmosphäre des Geborgenseins und die Voraussetzung, dass das gemeinsam Erlebte einen tieferen Eindruck hinterlässt. Es zeigte sich jedoch bei beiden Varianten, dass die TeilnehmerInnen am Ende ihres Museumsbesuches im Vergleich zu ihrer Ankunft emotional viel lebhafter reagierten.

Herausforderung für die Kunstvermittlung

Von Seiten der KunstvermittlerInnen ist eine besonders wichtige Voraussetzung die tiefe Überzeugung, dass alle Menschen mit Demenz, egal in welcher Form sie sich anders verhalten, als es die gesellschaftliche Norm erwartet, in ihrer Persönlichkeit ernst genommen werden. Daher spielt bei den Beratungsgesprächen zur Vorbereitung eines derartigen Besuchstermins die Frage nach dem Grad der Demenz keine Rolle. Es sei denn, dass dies von Seiten der Organisation selbst angesprochen wird.

Darin liegt auch die enorme Herausforderung für die KunstvermittlerInnen. Sie erfordert nicht nur ein Zurücknehmen vieler bisher bei Führungen angewandter Abläufe, sondern eine viel größere Flexibilität und Kreativität. Bei der Bild- bzw. Objektbetrachtung geht es nicht um detaillierte Wissensvermittlung, sondern um die Menschen, die das Kunstwerk betrachten. Die Rolle der KunstvermittlerInnen ist dabei mit jener eines/r Moderators/in zu vergleichen. Sie stellen Fragen und regen damit die BesucherInnen an, darauf zu reagieren. Jede Antwort, selbst wenn sie nicht genau auf die Frage zutrifft, sollte Ausgangspunkt einer weiteren Frage sein. Mit etwas Geschick kann dieser Ansatz einer Konversation nach und nach alle TeinehmerInnen aktivieren. Dadurch wird nicht nur das Einfühlungsvermögen der KunstvermittlerInnen geschärft, sondern es eröffnet ihnen auch zahlreiche neue Perspektiven auf die Objekte. So gesehen stellt diese gemeinsame Kunstbetrachtung ein gelungenes Beispiel von Inklusion dar.

Intensive emotionale Erlebnisse

Auch wenn diese Art der Kunstvermittlung besonders zeitintensiv und herausfordernd ist, so bereichert sie sowohl die betroffenen BesucherInnen als auch KunstvermittlerInnen um intensive emotionale Erlebnisse. Der Perspektivwechsel und das intensive aufeinander Eingehen im Laufe einer barrierefreien Kunstführung gibt den betroffenen Menschen ein wenig von ihrer Würde zurück, die sie durch eine zu Unrecht erfolgte Stigmatisierung durch die Gesellschaft verloren haben. Zumindest für kurze Zeit erleben sie ein neues Selbstwertgefühl und damit eine Teilhabe am Leben aller. Ihr spontaner, ehrlicher Dank am Ende der gemeinsam verbrachten Zeit ist wiederum für die KunstvermittlerInnen einer der berührendsten Momente. Sie durften miterleben, wie diese Menschen für eine Weile ins gemeinsame Leben zurückgekehrt sind.


Mehr Infos zum Kunsthistorischen Museum Wien: KHM
Die nächste Fortbildung in Österreich findet vom 22.-24. Mai in Tirol statt: "Ich bin dabei!"

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