Das Leben ist bunt - Menschen mit Demenz im Wiener Museum Belvedere

Das angesehene Museum Belvedere in Wien bietet seit Anfang des Jahres Führungen für Menschen mit Demenz unter dem stimmigen Titel 'Das Leben ist bunt - durch sensible Kunstbegleitung schöne Stunden im Belvedere erleben'. Brigitte Hauptner, Kunstvermittlerin, Mal- und Gestaltungstherapeutin, und Susanne Wögerbauer, die Leiterin der Kunstvermittlung und des Besucherservice, hatten Ende 2015 an der ersten Fortbildung von ProSenectute und dementia+art in Wien teilgenommen. Sie berichten anschaulich von ihren Erfahrungen.

 



C Belvedere

Das Leben ist bunt. Von Brigitte Hauptner und Susanne Wögerbauer

Kunstbetrachtungen, die an vorhandene Kompetenzen von Demenz-Betroffenen anknüpfen, ermöglichen Erfolgserlebnisse und geben dem Leben ein Stück „Normalität“ zurück. Im Mittelpunkt unserer Führungen steht eine gezielte Auswahl an leicht zugänglichen Kunstwerken. Unterstützt durch begleitende Materialien, die im vergangenen Leben eine Rolle gespielt haben, können die Werke in Ruhe mit allen Sinnen wahrgenommen werden.
Es ist ein milder Tag im Jänner 2016 – von Schnee keine Spur in Wien. Wir haben das Thema Winter, Schnee, Kälte vorbereitet und fragen uns, ob wir mit Hilfe der ausgewählten Bilder eine kalte Winterstimmung glaubhaft vermitteln können. Gut gelaunt aufgrund des schönen Wetters trifft unsere Gruppe ein. Wir begrüßen sieben Gäste des Alzheimer Tageszentrums der Caritas Socialis und ihre Begleitpersonen im Oberen Belvedere. Max Weber, Leiter des Tageszentrums, hat Namens-Sticker mitgebracht. So können wir die Gäste persönlich ansprechen und damit eine nähere Beziehung herstellen.

DIE FÜHRUNG

In der Sammlung des 19. Jahrhunderts machen wir es uns in einer Sitzrunde gemütlich. Das ungewöhnlich milde Wetter ist natürlich unser Hauptthema. Ich lenke die Aufmerksamkeit der Gruppe auf ein Winterbild: eine Darstellung der Kirchenstiege von Mistelbach – eine Kleinstadt in Niederösterreich. Wer kennt Mistelbach? Was machen die Menschen auf dem Bild? Einer der Teilnehmer ist in Mistelbach geboren – welch ein Glück – aber die Kirche und die Stiege sähen jetzt anders aus, er hätte sie nicht erkannt, meint er. Natürlich, das Bild wurde vor beinahe 130 Jahren gemalt, in dieser Zeit kann sich vieles verändern.

Es ist offensichtlich sehr kalt auf dem Bild, es liegt Schnee und alle Personen sind warm angezogen. Wie kann man sich gegen Kälte schützen? Womit haben wir uns früher aufgewärmt? Wie geheizt? Welche Kleidungsstücke fallen uns ein, die besonders warm halten? Ich packe Kinderhauben aus – selbstgestrickt (nicht von mir) – und lasse sie rundum gehen. Es kommt nun Bewegung in die Gruppe, die Gesichter hellen sich auf. Ich schlage ein kleines Spiel vor, in dem ich verschiedene, mitgebrachte Kopfbedeckungen aufsetze und die Teilnehmer_innen raten lasse, ob diese gut gegen Kälte schützen. Ein Filzhut, ein Zylinder, ein buntes Käppchen, ein Sonnenhut und ein Tropenhelm stehen zur Wahl und werden herumgereicht. Plötzlich setzt eine Teilnehmerin einen der Hüte selbst auf und wird begeistert beklatscht von der Gruppe. Beinahe alle wollen jetzt auch einen Hut aufsetzen und bewundert werden. Die Stimmung ist entspannt und fröhlich.

DER SCHNEEMANN

Nach etwa einer Stunde machen wir uns auf den Weg ins Untere Belvedere, um im Atelier kreativ zu arbeiten. Beim Spaziergang durch den Belvedere-Park treffen wir trotz frühlingshafter Temperaturen auf einen Schneemann – das Kunstwerk eines Grazer Künstlers aus weißem Marmor. Das Berühren des Kunstwerks ist erlaubt! Wer hat früher gerne Schneemann gebaut? Und wie haben die ausgesehen? Der Schneemann hat ganz klassisch eine Karotte im Gesicht und einen Topf auf dem Kopf – genial. Mein Schneemann hat auch ganz genauso ausgesehen – nur kleiner! Der Wiedererkennungseffekt ist groß.

IM ATELIER

Im Unteren Belvedere wollen wir im Atelier kreativ sein. Davor erwartet die Gäste aber noch eine kleine Pause mit Jause. Dazu hören wir Musik: Schneeflöckchen, Weißröckchen – einige Teilnehmerinnen singen ganz automatisch mit - und dann gibt es zur Untermalung noch klassische Wintermusik von Vivaldi und Tschaikowsky.
Frisch gestärkt geht es nun ans Werken. Wir haben verschiedene Materialien für eine Schneemann-Collage vorbereitet: festes Papier, weiße Farbe, Perlen, kleine Kunststoff-Karotten, weißes Seidenpapier und vor allem viel Watte. Das Material Watte ist sehr haptisch, leicht formbar, hat einen eigenen, milden Geruch und kann damit vielleicht Erinnerungen auslösen. Das fühlt sich so gut und weich an, flüstert mir eine Dame zu und streichelt den Wattebauschen vor ihr. Ich habe ein Demonstrations-Bild zur Inspiration vorbereitet und es entstehen viele fantasievolle Schneemann-Kreationen. Zum Schluss kann jeder Gast sein kreatives Werk gemeinsam mit einem Erinnerungsbild des Schneemanns vor dem Belvedere mitnehmen.

HINTERGRUND + REFLEXION

In Zusammenarbeit mit der Caritas Socialis bietet das Belvedere erstmals spezielle Führungen für Menschen mit Demenz an. Das Konzept zu unseren Führungen entstand in engem Wissenstransfer zwischen Kunstvermittler_innen und Demenzexpert_innen. Zur Vorbereitung auf unser gemeinsames Projekt besuchten wir das dreitägige Seminar Kulturelle Teilhabe für Menschen mit Demenz von Jochen Schmauck–Langer, Geschäftsführer von dementia+art, Kulturgeragoge und Kunstbegleiter für Menschen mit und ohne Demenz.
Als langjährige Kunstvermittlerin und frischgebackene Mal- und Gestaltungstherapeutin war es sehr spannend für mich, die neue Besuchergruppe näher kennenzulernen.

Die Methode der rezeptiven Kunsttherapie ist Teil meiner therapeutischer Arbeit mit unterschiedlichen Klienten-Gruppen: Kunstbetrachtung muss nicht ausschließlich in ästhetischen Kategorien verlaufen, sondern kann vor allem auch Bezug auf das individuelle Leben des Menschen mit seiner inneren Welt von Gedanken und Assoziationen nehmen. Eine geführte Bildbetrachtung aktiviert das Vorstellungsvermögen, kann die Erinnerung und Fantasie anregen oder einfach entspannend wirken. Durch kreatives Gestalten entsteht neues Vertrauen in die persönlichen Gestaltungsmöglichkeiten.

Alle Abbildungen © Belvedere, Wien


Mehr Infos und Kontakt: Museum Belvedere

 

 

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